Reise in die Vergangenheit: 25 Auszubildende des Zimmererhandwerks wagten das Abenteuer und arbeiteten vier Tage an der Mittelalterbaustelle nahe dem oberschwäbischen Meßkirch in Begleitung ihres Berufschullehrers und ihrer Berufsschullehrerin mit.
Unlängst trafen sich eine Zimmerin und 24 Zimmerer aus dem Kreis Neuwied auf einem Camping-Platz im Süden Baden-Württembergs mit meinem Kollegen und mir. Schon die Anreise gestaltete sich für den ein oder die andere abenteuerlich. Zwei super Sportliche hatten die Strecke von Koblenz bis nach Leibertingen in vier Etappen mit dem Fahrrad bewältigt. Andere hatten schon eine Übernachtung am Bodensee hinter sich und wieder andere verbrachten den ganzen Montag pannenbedingt im Auto.
Nachdem wir unser großes Lager aufgeschlagen hatten, erfrischten wir uns erstmal im Pool. Mit kühlem Kopf und leerem Magen wagten wir uns an die Essensplanung. Wie gewohnt unkompliziert und getreu den Traditionen des Handwerks, gab es Gegrilltes im Brötchen mit Ketchup oder Senf. Von einem gemütlichen Abendessen am Lagerfeuer gestärkt, waren zumindest wir für die erste Nacht gewappnet. Nicht jedoch alle unsere Nachtquartiere: während ein Teil der Zelte dem Gewitter standhielt, wurde der ein oder die andere mitten in der ersten Nacht vom kühlen Nass überrascht. Nach einigen notdürftigen Optimierungen an Zeltkonstruktionen begann die ruhigere zweite Nachthälfte. Gewitter und Schauer stellten sich als unsere zuverlässigsten Begleiter dieser Tage heraus. Nur vom angekündigten heftigen Unwetter mit Hagel am letzten Abend blieben wir glücklicherweise verschont.
Mehr oder weniger ausgeschlafen ging es dann am nächsten Tag zur Mittelalterbaustelle, dem Campus Galli. Hier erschaffen seit 2013 Tag für Tag Handwerker und Ehrenamtliche mit den Mitteln des 9. Jahrhunderts ein Kloster auf Grundlage des St. Galler Klosterplans. Michael, ein Zimmerer in Tunika, begrüßte uns und führte uns über den Campus. Bevor mit der Tabula der Arbeitsbeginn eingeläutet wurde, erklärte Michael, dass es auf dem Campus nicht auf Schnelligkeit ankäme. Zu den Mitteln des 9. Jahrhunderts gehören weder Uhren und noch Handys. Um uns auf die Zeitreise ins Mittelalter einzulassen, verzichteten wir so gut es unsere Gewohnheiten zuließen auf dem Campus auf diese Utensilien.
Zimmerer Aurel wurde beim Errichten eines Hühnerstalls von uns unterstützt. Hier konnten wir bei traditionellen Zapfenverbindungen unser Geschick unter Beweis stellen. Außerdem beteiligten wir uns tatkräftig an den gewöhnlich Arbeiten wie Bäume fällen, mit Äxten behauen oder schälen, Holznägel schnitzen und zwischendurch natürlich Werkzeuge schärfen – alles auf mittelalterliche Weise – versteht sich.
Das aktuell größte Projekt ist der Bau des Abtsgebäudes. Die Fundamente sind gelegt, der Verlauf der Mauern ausgemessen und die Pfette lag fertig abgebunden zum Richten bereit. Doch wie sollte die schwere Pfette nun bewegt werden – ohne Kran? Wie gut, dass wir eine so große Truppe kräftiger motivierter Zimmerer und Zimmerinnen vor Ort waren. Nachdem ein Gerüst aus Stämmen, Brettern und Seilen um die Baugrube des Abtsgebäudes errichtet wurde, konnte am dritten Tag dann mit vereinten Kräften die Pfette gesetzt werden. Bei dieser Gemeinschaftsaktion erfuhren wir, was es wirklich bedeutet, gemeinsam stark zu sein.
In der heutigen Zeit ist es eine Herausforderung, sich auf die Arbeitsweise des Mittelalters einzulassen. Die Auszubildenden aus dem Handwerk und dem Baugewerbe kennen den Zeitdruck bei der Arbeit. So scheint es, als wäre die Zeit bei einem Bauvorhaben immer knapp. Die Arbeitsabläufe sind eng getaktet, denn Zeit ist Geld. Jetzt stelle sich mensch doch nur mal vor: für den Abbund einer einzigen Pfette wurden im Mittelalter mehrere Tage benötigt. Heute geschieht das in einem Arbeitsschritt – einmal durch die Abbundanlage – wenige Minuten, kaum körperliche Anstrengung. Natürlich fällt es da nicht leicht, den Zeitdruck von der Arbeit zu vergessen und das Zeitgefühl ein stückweit zu verlieren. Umso mehr waren die vier Tage eine wertvolle Erfahrung für jeden von uns.
Wer sich für das Freilichtmuseum Campus Galli in Meßkirch und das Projekt interessiert, wird in dem kürzlich im Bayrischen Rundfunk erschienenen Beitrag fündig: STATIONEN: Visionen gefragt · Wie wollen wir zusammenleben? | ARD Mediathek
Gemeinsam stark – Zimmer:innen aus Neuwied reisen ins Mittelalter
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